Geschichte

Die Anfänge des St.-Petri-Stiftes zu Höxter

ev. Volksschule, 1949 - 1979 Altenheim des St.Petri-Stiftes
altes Petri-Stift mit Innenhof

In Höxter hatte die Evangelische Kirchengemeinde mit ihrem jungen Pfarrer Konrad Beckhaus (1821 – 1890) nach der Revolution von 1848 als Antwort auf die sozialen Herausforderungen jener bewegten Zeit einen Verein für „Innere Mission“ gegründet. Ziel und Zweck dieses Vereins von 1849 war in einer Satzung genau definiert; es heißt darin zu Anfang:” Das christliche Leben in der Gemeinde zu wecken und zu fördern …,namentlich… durch Pflege Armer und Verwahrloster, soweit nötig und möglich durch geordnete Anstalten.” Das geschah zunächst sehr bescheiden in angemieteten Räumen in der Stadt.

Aber schon bald wurden die Aufgaben von außen her erweitert: Der Evangelische Kirchenkreis Paderborn, zu dem Höxter gehörte, beschloss für die Kinder, die an ihrem Wohnort keine evangelische Unterweisung erhalten konnten, eine Konfirmanden-Anstalt zu gründen. Was lag näher, als dieses Vorhaben mit der in Höxter unter Konrad Beckhaus begonnenen Kinderarbeit zu verbinden. Die Evangelische Kirchengemeinde hatte gerade zu dieser Zeit einen großen Platz für 500 Taler käuflich erworben. Es war der seit Jahren unbenutzte Kirchhof der alten Petri-Kirche, welche im Jahre 1810 unter der französischen Fremdherrschaft auf Befehl des Jerome Napoleon, des Königs von Westfalen, niedergerissen worden war. Seit jener Zeit erhielt das Haus den Namen : Petri-Stift. Diesen großen Platz übertrug die Gemeinde dem Evangelischen Verein für den genannten Kaufpreis zinslos. Die Grundsteinlegung konnte schon am 18. November 1849 erfolgen. Mit großem Eifer ging man ans Werk. Gaben kamen von allen Seiten. Groß war die Freude, als man unerwartet am Bauplatz auf ein Lehmlager stieß, mit dem der ganze Bedarf gedeckt werden konnte. Mit dem kleinen Grundkapital von 1166 Reichstalern und 12 Silbergroschen fing man im Glauben an zu bauen. Im folgenden Jahre kamen 2574 Reichstaler, 6 Silbergroschen und 6 Pf. hinzu. Aber die köstlichsten Schätze waren, wie der Bericht erzählt, die Kinder.

Am 19. Juli 1851 wurde das vortrefflich und ohne alles Unglück erbaute Haus durch den Superintendenten Baumann in Gegenwart der Behörden, vieler Geistlicher, Lehrer und anderer Freunde aus der Synode Paderborn und aus dem benachbarten Braunschweig, Lippe, Waldeck und Hessen eingeweiht. Die Inschrift des Hauses heißt: “Jesu, dem Anfänger und Vollender des Glaubens!” Eine Scheune nebst Stallung wurde später angebaut.

Die konfessionelle Statistik jener Zeit weist aus, dass damals im Kirchenkreis Paderborn 8000 Evangelische, abgesehen von Höxter, unter 180.000 Katholiken zerstreut wohnten. Die neue Einrichtung wurde sehr gut angenommen: Waren es 1849 erst 6 Kinder, so waren es zehn Jahre später 1859 schon 61. Durch einen Erweiterungs- und Umbau 1861 und 1879 konnte die Anstalt bis zu 85 Jugendliche aufnehmen. Eine weitere Erhöhung der Kapazität lehnte der Vorstand aus pädagogischen Gründen ab, um, soweit wie nur irgend möglich, das Familienprinzip in der Erziehung zu wahren.

Ansprache zum 150. Jubiläum des St. – Petri – Stift (1998)

Liebe Schwestern und Brüder,

heute vor 150 Jahren hielt Johann Hinrich Wichern auf dem Kirchentag zu Wittenberg jene flammende, aufrüttelnde Rede, die der Geschichte des christlich-diakonischen Handels derartige Impulse verlieh, dass wir heute vom Anbruch einer neuen Zeit im Zeichen des Kronenkreuzes sprechen. Was war geschehen?

Wichern – ein Mann geprägt vom christlichen Glauben und verwurzelt im Gebot unseres Herr „Du sollst Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ hatte den Mut aufzustehen und wider den Geist der Zeit – getrieben vom Geiste Gottes – zu sagen, was er für notwendig erachtete. Inmitten einer Zeit politischer Umbrüche, sozialer Not und Verelendung – hervorgerufen durch die Auswirkungen der Industrialisierung – inmitten einer Zeit der Entwurzelung und Entkirchlichung der Christenheit rief er die Verantwortlichen auf, sich des Zieles und des christlichen Auftrages, den wir zu verantworten haben entschiedener und tatkräftiger bewusst zu werden – und danach zu handeln!

Seine Worte rüttelten wach, fanden Gehör. Auch bei dem jungen Geistlichen „Konrad Beckhaus“ – dem Mann der Kirche und ihrer Diakonie, dessen Predigen und Handeln die Diakoniegeschichte unserer Stadt und unseres Petristiftes in neue Bahnen lenkte. Unter seiner Federführung fanden sich Menschen in unserer Stadt zusammen, den neuen Herausforderungen kreativ und innovativ zu begegnen.

1848 – am zweiten Weihnachtstag wurde aus dem in Höxter schon bestehenden „Verein zur Hebung des evangelischen Lebens in der Gemeinde“ der „Verein für Innere Mission“ gebildet, der das christliche Leben in der Gemeinde zu erwecken und zu fördern suchte. Einen Katalog der vielfältigen diakonischen Aktivitäten halten sie in Händen. Ich will mich heute auf die Tätigkeiten beschränken, die in engstem Zusammenhang mit der 150jährigen Geschichte unseres Stiftes stehen.

Besonders den Kindern und Jugendlichen der verstreuten evangelischen Familien im Diaspora-Kirchenkreis Paderborn Hilfe zu leisten, durch Schaffung von Lebensraum und evangelischer Unterweisung. Durch eine Kinderbewahranstalt und ein Rettungshaus wurde unter Konrad Beckhaus der Grundstein gelegt für die „Evangelisch Erziehungsanstalt zum St. – Petri – Stift“.

Als der Superintendent Konrad Beckhaus am 13. August 1890 starb, hatte er mehr als nur die Weichen für die Verwirklichung des Weges der barmherzigen Liebe gestellt. Er hatte – unterstützt von Freunden, Förderern und kritischen Begleitern, Bürgern dieser Stadt, die verstärkt soziale Verantwortung aus ihrem Glauben heraus übernahmen, stark für andere gelebt und Fakten geschaffen, die bis zum heutigen Tage unsere Arbeit und unser Leben im Stift und in der Stadt prägen. Auch darum trägt unser Altenheim seinen Namen: Konrad-Beckhaus-Heim, ist eine Straße nach ihm benannt und erinnert eine Linde in unserer Stadt an diese bedeutende Persönlichkeit.

Den folgenden Inspektoren unseres Stiftes hatte er ein Feld bereitet, doch ackern mussten sie allein. Und sie taten es, wie wir in den Annalen nachlesen können.

Von 1863 – 1903 führte der Inspektor und Lehrer Ludwig Schloemann die Stiftungsgemeinschaft durch harte und entbehrungsreiche Zeiten. Er wirkte segensreich auf dem Gebiet der von christlichem Glauben geprägten Erziehungsarbeit unseres Stiftes. Unter ihm als Hausvater – unterstützt von seinen Ehefrauen, die das schwere und vielfältige Amt einer Hausmutter ausfüllten – wuchs die Stiftsfamilie und gewann zwei neue Schwerpunkte:

Zum einen, die Einrichtung einer eigenen Heimschule, damit man den unterschiedlichen schulischen Voraussetzungen und Kenntnissen, die die Stiftskinder mitbrachten besser gerecht werden konnte. Auf sein Drängen, seine Beharrlichkeit und seinen Weitblick für angemessene Investitionen ist es zurückzuführen, dass 1893 sogar eine zweite Lehrkraft eingestellt wurde. Bis 1937 hielt das Stift an dieser Schule fest, erst danach gingen die Stiftskinder wieder in die städtische Volksschule.

Aber noch etwas zeichnet die Stiftszeit unter Ludwig Schloemann besonders aus: Bei allen Lasten, die er im Amt und familiär zu tragen hatte, ist das Lob Gottes auf seinen Lippen nie verstummt. Und dies hatte ansteckende Wirkung. Der Chor der Petristiftler fand unter seiner Leitung in der näheren und ferneren Umgebung hohe Anerkennung, was sicher auch zum Ansehen der gesamten Einrichtung beitrug. Er war eine Bereicherung für die Zuhörer, aber auch für die Sänger, denen die Lieder, die sie im Herzen trugen, oftmals Sprache verliehen, wenn Not und Leid sie sprachlos gemacht hatten.

Welche Gabe war diesem Inspektor gegeben und damit auch uns, weil er sie für uns und mit uns nutzte. 1895 gelang es ihm sogar einen Posaunenchor im Petri-Stift ins Leben zu rufen und den Akzent des Lobes Gottes noch schallender zu Gehör zu bringen.

Familie sein und leben, Heimat und Zuhause geben, Gotteslob hören und weitergeben – das sind auch Schwerpunkte in der Arbeit der Einrichtung, die heute seinen Namen trägt:

Ludwig-Schloemann-Haus, unser Behinderten-Wohnheim im Rohrweg.

Von 1904 – 1927 prägte der Lehrer und Neinstedter Diakon Gustav Wehrmann als Inspektor Arbeit und Leben im Stift. Gerade in den schweren Jahren des ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit mit den Hungerjahren gelang es ihm, die Stiftsfamilie zu erhalten und durchzubringen. Mit hohem persönlichen Einsatz kompensiert das Ehepaar Wehrmann den Mitarbeitermangel und festigt das Zusammengehörigkeits- und Verantwortungsgefühl, was letztendlich das Überleben sicherte. Miteinander arbeitet man füreinander.

Auch unter Gustav Wehrmann war Musik ein prägendes Thema. Er führte die unter Schloemann begonnene Posaunenarbeit erfolgreich weiter und das, obwohl dieses nicht seine stärkste Gabe war. Seine Fähigkeiten und Möglichkeiten als Pädagoge waren noch größer. Weit über die Stiftsgrenzen hinaus brachte ihm sein schulisches Wirken auch in seinem Ruhestand als er noch in der Volksschule tätig war – Anerkennung und Wertschätzung ein. Für unser Stift eine nicht hoch genug zu schätzende Form von Öffentlichkeitsarbeit. Sicher auch darum wurde er vom Vorstand des Stiftes nach seiner Pensionierung zum Ehrenmitglied im Vorstand ernannt – eine bis dahin einmalige Auszeichnung, der noch eine weitere folgte. Als das St. – Petri – Stift 1997 die Tagespflegeeinrichtung eröffnete, erhielt sie seien Namen:

Gustav-Wehrmann-Gästehaus.

In den Jahren nach Gustav Wehrmann vollzog sich innerhalb der Stiftsgeschichte ein mehrfacher Wandel: aus der Erziehungs- und Anstaltsdiakonie der Gründerzeit entwickelte sich die Institution Diakonie unter den Gesichtspunkten von Qualifikation, Qualität und Wirtschaftlichkeit. Zudem erweiterte das Stift seinen Aufgabenbereich. Zunächst um die Arbeit auf dem Gebiet der Altenhilfe, noch später auch der Behindertenhilfe.

Unter dem Betheldiakon Oskar Grätz, der von 1939 – 1973 als Inspektor die Geschicke des Stiftes lenkte, trat dieser Wandel immer deutlicher zu Tage.

Nach seiner Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft und entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren, die das St. – Petri – Stift nur durch die aufopferungsvolle Mitarbeit seiner Frau, Elisabeth Grätz, und die tatkräftige Unterstützung des Vorstandsvorsitzenden Superintendent Nobbe und Pfarrer Gerhard Schloemann überlebte, sah sich Oskar Grätz vor viele neue Herausforderungen gestellt.

1949 wurde ein Altenheim in den Gebäuden der Evangelischen Volksschule übernommen. Seine Schwägerin und zweite Ehefrau, Hilde Grätz, übernahm die Pflegedienstleitung.

Veränderungen in der Kleinkinderpädagogik und der Abbau von Heimplätzen zugunsten von Pflegestellen, das Fehlen qualifizierten Personals waren nur einige Hürden, die Oskar Grätz zu bewältigen hatte.

1968 wurde sein Aufgabenbereich noch einmal erweitert, um das Kinderheim II, das im Alumnat am Rohrweg 44 Einzug hielt.

Oskar Grätz war all diesen Herausforderungen nicht nur gewachsen, er verstand es auch noch,  sie zum Segen des Stiftes und zur Sicherung des Fortbestandes zu überwinden. Gott weiß, wie viel Kraft ihn das gekostet hat. Aber wer Oskar Grätz noch kannte, der weiß, wie sehr ihm sein Glaube Quelle dieser Arbeit war und mit welcher gelassenen und frohmachenden Freiheit, die aus dem Glauben kommt, er ans Werk ging. Gramesfalten waren es nicht, die sein Gesicht zeichneten. Wohl aber Lebenslinien, die aus dem Herzen sprachen.

Als unser Vorstand 1994 beschloss, der damals jüngsten Einrichtung der Stiftung, der Wohnstätte für psychisch Kranke auf dem Petrihof seinen Namen zu geben, war dies einer der entscheidensten Gründe. Mit dem Namen Oskar Grätz war und sollt der Anfang einer neuen diakonischen Arbeit in Höxter verbunden bleiben.

Dies sind nur vier von vielen herausragenden Persönlichkeiten unserer Stiftungsgeschichte. Stellvertretend für alle Menschen, die bis zum heutigen Tage an dieser Geschichte mitgeschrieben haben, blicken wir heute auf die Vergangenheit und danken Gott, dass er uns diese Menschen an unsere Seite gestellt hat. Durch sie durften wir die Kraft seiner Gnade und Bewahrung erfahren.

Die Besinnung auf unsere Väter ist uns gerade heute eine Quelle, hoffnungsvoll und auf unseren Gott vertrauend Gegenwart und Zukunft tatkräftig zu gestalten.

In dieser 150-jährigen Tradition verwurzelt, können wir heute noch den diakonischen Auftrag wahrnehmen, zu dem eins Johann Hinrich Wichern aufrief. Unser Glaube spricht durch Taten. Er zeigt sich in der Art, wie wir tun, was wir tun. Durch Gottes Geist gestärkt gewinnt das Gebot der Nächstenliebe Gestalt unter uns.

Unsere Tradition verpflichtet uns, uns den Herausforderungen der Zeit zu stellen und sie den Anforderungen der Zeit gemäß zu entwickeln.